Nachdem man am Wochenende noch überraschend gegen die mehr als kriselnden Stuttgarter mit 1:2 unterlag, galt es unter der Woche gegen den Tabellen-14. aus Augsburg vieles besser zu machen – zu mehr als einem Punkt reichte es jedoch auch am Dienstag-Abend nicht. So verabschiedete sich Pal Dardai doch vorerst vom Sturmduo Ibisevic/Selke, baute sein Team auch formativ um: Die Hertha begann in einem 4-Raute-2, in dem Pekarik hinten rechts seinen ersten Startelfeinsatz verbuchen konnte, was Lazaro für die rechte Halbposition befreite. Den Sechser gab Arne Maier, Mittelstädt als linker Achter und Duda als Zehner komplettierten die Raute hinter Leckie und Selke im Sturm.
Die Berliner Marschroute aus der neuen Formation heraus wurde ziemlich schnell ersichtlich: Lange Bälle auf Selke, der diese möglichst direkt hinter die Abwehr verlängern sollte, während mindestens Leckie genau in diese Richtung startete. In Kombination mit einem hohen Pressing ergab sich so 90 Minuten lang ein sehr hektisches Bild der Hertha, in dem spielerische Mängel mit Zweikampfkraft vertuscht werden sollten.
Für die genaue Umsetzung der langen Bälle ließ sich Selke oft in den gegnerischen Sechserraum fallen, um einem direkten Duell mit Hinteregger oder Kevin Danso zu entgehen – stattdessen konnte er vermehrt seine Größe gegen Daniel Baier ausspielen und somit dessen wohl einzige Schwäche nutzen. Wieder mal beeindruckend war die Konstanz der Zuspiele von Jarstein, die mit nur ganz wenigen Ausnahmen Selke in genau diesen Situationen fanden. Es waren die ersten Bälle, also eben genau Selkes Kopfballablagen, die relativ gut gezielt waren. Zwar gelang es nur selten, Leckie direkt hinter die Abwehr zu schicken, die beiden aufrückenden Achter und Duda konnten aber oft zuerst an den zweiten Ball kommen.
Ab hier wurde es dann kniffliger. Die Augsburger, allen voran Daniel Baier, gewannen viele zweite Bälle unmittelbar wieder zurück. Dafür presste das Mittelfeld viel rückwärts, aber auch aus der Abwehr konnten einige Akteure immer wieder herausrücken, immerhin befanden sich die Fuggerstädter dort in einer vier-zu-eins Überzahl gegen Matthew Leckie. Außerdem hatte Hertha weder Automatismen, noch direkte Entlastungsoptionen, um den weiteren Ballvortrag zu stabilisieren. Ersteres war sicherlich der formativen Umstellung geschuldet, Letzteres bedeutete, dass die Ausgangspositionen der am Kampf um den zweiten Ball beteiligten Berliner sehr zentral waren, weshalb Augsburg das Spiel extrem eng machen konnte.
Das Team von Manuel Baum konnte sich zudem im Pressing sehr schnell auf die numerische Überlegenheit der Hertha im Zentrum einstellen. Zu Beginn presste der FCA noch aus einem recht breiten 4-4-2-Mittelfeldpressing heraus, wobei sich Rani Khedira schon hier an Arne Maier orientierte und viele 4-1-3-2-Staffelungen herstellte. Die Flügelspieler Koo und Ji rückten mit zunehmender Spieldauer aber immer mehr ein, um besseren Zugriff auf die Berliner Achter zu haben.
Das Anlaufen der Berliner Außenverteidiger war in der Folge von deren Position abhängig. Bei sehr tiefen Positionierungen schickten sich die offensiven Augsburger Flügel zum Pressen an, während der ballnahe Außenverteidiger nur etwas höher schob. Da das Anlaufen in diesen Fällen diagonal aus einer zentraleren Position erfolgte, waren die mittigen Berliner automatisch nicht mehr anspielbar und es kam oft zu einem Rückpass oder einem langen Ball. Gegen höhere Außenverteidiger liefen auch schon mal Schmid oder Max an, während ihre Kollegen das Zentrum verdichteten. Herthas Pressing war ähnlich angelegt, aber nicht aus einer Anpassung heraus, sondern schlichtweg von vornherein so geplant. Auch die Hertha deckte den gegnerischen Sechser mannorientiert, wobei Duda sich nicht so konstant an Baiers Versen heftete wie bspw. gegen Rudy auf Schalke. Meistens reichte ein lockeres Zustellen aber auch schon, um den ersten Augsburger Pass auf die Außenbahn zu lenken. Dort wurde der Außenverteidiger wiederum von einem Achter angelaufen, während der ballferne Achter sich neben Maier in den Sechserraum fallen ließ, was asymmetrische 4-2-2-2-Staffelungen ergab. Im Vergleich zu den Gästen war das Berliner Pressing eher aus einer 4-3-1-2-Ordnung organisiert, sprich mit tieferen Achtern und höherem (Pressing-)Zehner als auf der Gegenseite.
Während sich die Augsburger im Pressing durch viele rautenhafte Anordnungen angepasst hatten, war ihre Offensivstruktur noch immer eher an ein 4-2-3-1 angelehnt, wenngleich Ji und Koo eherin den Halbräumen als auf den Flügeln positioniert waren. Ji orientierte sich aber noch eher als sein Landsmann an die vorderste Linie. Da auch die Berliner durch ihr Anlaufverhalten eher den Pass am Flügel entlang anboten, konnte Augsburg gerade am Anfang zu vielen langen Bällen gezwungen werden. Gerade Philipp Max, der zu Beginn mehr Pässe erhielt als Schmid auf der anderen Seite, konnte durch Lazaros sehr aggressives Anlaufen zu hektischen Schlägen nach vorne gezwungen werden. Dort konnte Augsburg einige Bälle festmachen, erzeugte aber eher ein noch hektischeres Spiel.
Es dauerte bis nach dem Führungstreffer, um etwas Spielfluss beobachten zu können. Dabei tat sich die Hertha aber nur sehr bedingt hervor. Der ruhige Spielaufbau war an diesem Abend aus diversen Gründen ein Totalausfall und auch das Spiel auf zweite Bälle brachte erstmal nur mäßigen Erfolg. Drum waren es noch am eheste Konter, durch die Hertha flach in die gegnerische Hälfte gelangte: Hier konnte oft einer der Achter tief einen gewonnenen Ball kontrollieren und einige Meter durch das Loch zwischen Augsburger Offensive und der Absicherung um Baier und die Abwehr tragen. Gleichzeitig rückten die beiden Außenverteidiger auf und erhielten in der Folge meist den Ball, da sich die Augsburger Hintermannschaft angesichts der großen, zentralen Präsenz der Hertha zusammenzog. Für den weiteren Verlauf des Angriffs hatte Pal Dardais Team allerdings keinen Plan mehr.
Da auch ein Rückpass mit anschließendem Neuaufbau anscheinend nicht eingeplant war, spielte Hertha die offensichtlich improvisierten Angriffe viel zu schnell zu Ende und vergab so einiges an Potenzial. Dabei machte sich auch bemerkbar, dass die spielstärkeren Außenverteidiger, für die solche Szenen wie geschaffen gewesen wären, auf den Halbpositionen der Raute spielten. Gleichzeitig mussten die weniger kreativen Pekarik und Plattenhardt, von dessen Diagonalität im letzten Drittel oft nicht viel übrig bleibt, mit einem unorganisierten Haufen für Gefahr sorgen.
Duda hatte währenddessen die üblichen Probleme damit, dass er zu wenige Schulterblicke macht und sich in hektischen Situationen nicht erfolgsstabil drehen kann. Sobald der Slowake aber mal mit Ball am Fuß zum gegnerischen Tor blickt, muss sich die gegnerische Abwehr auf einiges gefasst machen.
Wenn der Ball nach einem Duell um den zweiten Ball mal zufällig zur Berliner Innenverteidigung sprang, schalteten diese auf einen sehr eindimensionalen Risikovermeidungsmodus, der neben Rückpässen einzig lange Schläge vorzusehen schien. Die eigentliche Überzahl im Zentrum konnte darum wenig bis gar nicht ausgespielt werden und Maier erhielt nur ganz wenige Pässe kontrolliert im Sechserraum, obwohl die Gäste vormachten, wie es auch besser laufen kann.
Nach den sehr wilden ersten Minuten stabilisierten sich die Augsburger mehr und mehr über Angriffe auf rechts. Hier war Schmid in der ersten Linie deutlich ruhiger im Ausspielen von Drucksituationen und konnte relativ konstant Koo einbinden. Der Koreaner war an diesem Abend der mit Abstand beste Augsburger Offensivspieler und verstand es im Alleingang, den Ball zu halten und den weiteren Angriffsverlauf zu bestimmen. Das ist umso bemerkenswerter, da er in den Ball meistens in der denkbar ungünstigsten Körperhaltung erhielt, also aus dem Zentrum nach außen laufend und mit dem Rücken zum gegnerischen Tor, achja, der Gegenspieler in seinem Rücken sei auch noch erwähnt. Dennoch konnte er zusammen mit dem nach rechts rochierenden Khedira, dem aufrückenden Schmid und dem gelegentlich unterstützenden Finnbogason für Raumgewinn und Stabilität sorgen. Khedira besitzt zwar bei weitem nicht das spielerische Talent seiner Kollegen und war einige Male die Endstation eines Angriffs, zog aber mit seinen Läufen nach außen Berliner mit, öffnete also Räume und konnte über kurze Ablagen auch noch effektiv werden.
Im weiteren Angriffsverlauf konnten dann auch Max und Gregoritsch nach Verlagerungen besser eingebunden werden. Der Außenverteidiger konnte sich mehr auf seine simplen Aktionen im letzten Drittel konzentrieren und wurde dabei noch mehr von Baier unterstützt. Letztlich entstand sogar das zweite Augsburger Tor aus einer Kombination auf rechts, nach der sich Koo für seinen klasse Auftritt belohnte.
Möglich waren diese Szenen aber auch nur, weil Augsburg in tiefen Räumen deutlich mehr Kontrolle hatte. Wenn Daniel Baier in deiner Mannschaft spielt, ist das eh vorprogrammiert, Hinteregger und Danso agierten aber auch deutlich konstruktiver als Torunarigha und Lustenberger auf der anderen Seite. Besonders Hinteregger konnte sich hervortun und einige beeindruckende Zuspiele anbringen. Außerdem nutzten die Gäste ihre Außenverteidiger besser als Sicherungsoption als die Hertha, die hier von der strukturellen Anpassung Augsburgs im Pressing hätte profitieren können.
Tatsächlich waren die Berliner Tore doch Produkt der Spielanlage. So fiel das 1:1 nach einer Kopfballablage von Selke und einer weiteren Ablage von ihm auf Leckie. Das 2:1 erzielte Duda nach einem Abpraller, den Lazaro durch ein Dribbling nach Ballgewinn und anschließendem Torabschluss erzwang.
Zur zweiten Halbzeit musste Hinteregger dann verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Seine Position in der Innenverteidigung übernahm Khedira, während Moravek auf die Acht wechselte. Augsburg verlor durch die vermeintliche spielerische Schwächung aber nicht das Heft des Handelns, im Gegenteil: Wie schon zum Ende der ersten Halbzeit ließ sich Baier immer weiter zurückfallen, was Duda nicht verfolgte, und konnte so den Augsburger Aufbau entscheidend prägen. Hertha zog sich dagegen immer weiter zurück und lief auch die Außenverteidiger nicht mehr so aggressiv an, wie noch zu Beginn des Spiels. Zwar konnten sich die Fuggerstädter keine Chancen am Fließband herausspielen, kontrollierten jetzt aber die Partie und steigerten ihre Konterabsicherung nochmal merklich. Durch weniger Anlaufen der Hertha waren die nominell eh schon freien Außenverteidiger noch häufiger sichere Verlagerungsoptionen und stabilisierten sehr gut die Zirkulation.
Das hatte viel mit der jetzt noch tieferen Ausrichtung der Hertha zu tun, die jetzt noch größere Räume überbrücken mussten. Dabei schien Duda Daniel Baier aus dem Weg gehen zu wollen und setzte sich vermehrt nach außen ab, konnte aber auch von dort kaum wirkliche Akzente setzen. Zudem verfolgte Khedira das Zurückfallen von Selke mehr und unterband so einige kontrollierte Ablagen. Um sich trotzdem Chancen zu erspielen ist eine Doppelspitze aus Selke und Leckie aber auch schlicht nicht gut genug, besonders der deutsche Youngster hatte wieder mal große Probleme mit schwierigeren Situationen, in denen man nicht einfach schießen sollte.
Dennoch stand Hertha die meiste Zeit sehr stabil, weil Augsburg ganze vorne doch noch beschränkt war. Die Einwechslung von Cordova für den noch nicht komplett fitten Finnbogason entschleunigte außerdem etwas das Spiel ganz vorne. Immerhin hatte Augsburg aber die ganze Partie über gefährlichere Ausgangssituationen für Halbfeldflanken, für die sie jeweils viele Spieler im ballfernen Halbraum sammelten. Zum Schluss hatte Hertha nochmal etwas wie eine Mini-Druckphase, die aber nur dadurch zu Stande kam, dass Augsburg Jarstein viel Zeit zum Schlagen langer Bälle und den Berlinern so Zeit zum Aufrücken gab, weshalb auch keine Gefahr mehr entstand.
Fazit: Ich glaube Koo bekommt zu wenige Freistöße für sich gepfiffen, weil die Schiedsrichter nicht verstehen, was er machen will, und deswegen nicht einschätzen können, wie stark er daran gehindert wurde. Bei Hertha sind einige Sachen besorgniserregend: Erstmal war das Spiel wieder ein Hinweis darauf, dass zu viel isoliert an einzelnen Spielzügen gearbeitet wird, weshalb bei einer formativen Umstellung nicht mehr viel übrig bleibt. Gleichzeitig ist es trotz der Verletzten erschreckend, wie einfach das Fußball spielen eingestellt wird.