Es ist schon seit vielen, vielen Monaten das gleiche Spiel: Die Entwicklung von Hertha BSC stagniert, vor allem was das Ballbesitzspiel angeht. Damit wir nicht jede Woche dieselbe Kritik in leicht abgewandelter (weil gegnerabhängiger) Form üben müssen, listen wir hier mal auf, an was es der alten Dame unserer Meinung nach mangelt und was damit verschenkt wird. Dabei wird es vor allem, aber nicht ausschließlich, um das Spiel mit dem Ball gehen.
Dafür zuallererst ein Rückblick auf die erste Bundesliga-Saison nach dem Aufstieg mit Coach Jos Luhukay. Für den Niederländer eigentlich unüblich, zeigte sein Team in den ersten Spielen doch ein kombinatives Ballbesitzspiel und mischte durch ein paar sehr gute Ergebnisse die erste Liga auf. Wer ein bisschen mehr lesen will, klickt hier.
Die Entwicklung ging dann aber zunehmend hin zu einem unfassbar schlecht anzusehenden Rumpelfußball mit weiträumigen Manndeckungen über das gesamte Feld und dem schlichten Plan des Bolzens, sobald sich der Ball in den Berliner Reihen befand. Als Luhukay schließlich seinen Platz räumen musste und Pal Dardai die Hertha mit viel Defensive und noch mehr Glück vor dem Abstieg bewahrt hatte, versuchte sich der Ungar daran, der Hauptstadt einen gut anzusehenden Fußball zu bieten.
Das Spiel sollte konstruktiv eröffnet werden, dafür sorgten die Innenverteidiger. Das Mittelfeldtrio Skjelbred, Darida und Hegeler bestach davor durch viel Flexibilität und bildete die Basis für einige gute Auftritte, die folgerichtig guten Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten und hielten bis zum Ende der letzten Saison an, wenn auch in anderer personeller Zusammensetzung.
Wo liegt jetzt das Problem? Der Berliner Sport-Club entwickelt sich einfach nicht weiter. Schon seit den ersten guten Spielen wurde es mit nur ganz wenigen Ausnahmen kontinuierlich immer etwas schlechter. Durch den Ausfall von Darida, der viele Defizite mit seiner umtriebigen Art noch kaschieren kann, wirkt es nun, als habe die Entwicklung einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Deswegen folgt jetzt eine Grundsatzkritik:
Herthas Probleme sind ziemlich vielfältig und ziehen sich so durch fast alle Aspekte des Spiels. Das beginnt bei individualtaktischen Problemen und endet irgendwann bei der strategischen Ausrichtung. Beginnen wir eben bei dieser, demgroßen Ganzen. Sie ist sowohl im Spiel der Blau-Weißen, als auch in diesem Artikel der große Knackpunkt. Wer es mag, wie der Hauptstadtklub momentan spielt, braucht nichts zu ändern und das folgende nicht lesen. Ich denke aber, dass deutlich besser, schöner und erfolgreicher gespielt werden kann, als es momentan der Fall ist. Dass so ein Artikel in einer schlechten Phase erscheint, ist zwar recht logisch, rückblickend muss aber festgestellt werden, dass viele Dinge schon lange nicht mehr gut laufen.
Die vom Trainerteam verfolgte Spielidee zieht sich natürlich durch sämtliche Trainingseinheiten, Spielbesprechungen und was es sonst noch so gibt. Also gibt es wie bereits beschrieben auch auf den unterschiedlichsten Ebenen Probleme mit einer kombinativeren Spielweise. So scheinen viele Herthaspieler noch ziemlich wenig vom Konzept des Andribbelns gehört zu haben, geschweige denn vom Penetrieren der gegnerischen Formation. Arne Maier beispielsweise, der mit dem Ball am Fuß über große Fähigkeiten verfügt, spielt unter Gegnerdruck noch außerordentlich ambitionslos. Dabei sind es genau die engen Szenen mit vielen Gegnern in der Nähe, durch die man sich mit einem geeigneten Auflösen der Enge große Vorteile erarbeiten kann.
Darüber hinaus fehlt es vielen Spielern an der Wahrnehmung von freien Räumen. Das Spiel gegen Köln lieferte dafür mehr als genug Beispiele: Sowohl zwischen den Linien, als auch im ominösen ballfernen Halbraum klafften in einigen Szenen gigantische Lücken, aber kein Herthaner versuchte daraus Kapital zu schlagen.
Wie einfach und gleichzeitig effektiv die Besetzung dieser Feldzonen sein kann, bewiesen einzig Matthew Leckie und mit Abstrichen Mitchell Weiser, auf den ich später noch näher eingehen werde. Allerdings dient das bereits als perfektes Beispiel dafür, wie viel von den Launen einzelner Spieler abhängt. Die einrückenden Bewegungen Weisers dürften nichts anderes als ein Relikt aus seiner Zeit bei den Bayern sein, sonst wären wohl auch die anderen Außenverteidiger häufiger mal im Zentrum zu finden. Dass aber genau diese Bewegungen immer wieder einen belebenden Effekt haben, wird offensichtlich übersehen. Auf der anderen Seite lässt Plattenhardts diagonales Passspiel zunehmend nach und wird durch einen blinden Fokus auf Durchbrüche zur Grundlinie ersetzt. Nicht besonders cool.
Auch Arne Maier ist diesbezüglich zu nennen: Man kann ihn gewissermaßen zur Generation Draxler zählen (Das soll keine Kritik an ihm sein.) – Er ist recht schnell, technisch stark und flexibel, gleichzeitig aber auch noch undefiniert und bisher zu sehr auf das Bespielen größerer Räume beschränkt. Obwohl er die technischen Anlagen dafür besitzt, sieht man ihn nur in den seltensten Fällen eine Enge suchen, sein Passspiel sei hiervon ausgenommen. Vor allem geht es um sein Bewegungsspiel. Er bewegt sich zu Beginn des Aufbauspiels eher um den gegnerischen Block herum, um dann im Verlauf des Angriffs weiter aufzurücken. Eine ganzheitlichere Ausbildungsphilosophie hätte ihm wohl sehr gut getan, aber in Berlin hat man da aktuell nicht so viel zu bieten. Darüber kann (und muss) man nochmal deutlich mehr schreiben, aber es sollte hier mal erwähnt sein.
Da wir schon dabei sind, greifen wir direkt nochmal das Beispiel von Mitchell Weiser auf: Oft wird versucht, den Erfolg von Pep Guardiola mit dem Argument „Dafür hatte der auch die passenden Spieler“ kleinzureden. Das soll heißen, dass ein gutes Ballbesitzspiel nur mit wirklich guten Spielern (nichts anderes soll passend bedeuten) aufzuziehen sei. Ich stimme dem Argument in seiner unübersetzten Form einfach mal unbedingt zu. Man braucht die passenden Spieler. Für jedes Ballbesitzspiel. Nun möchte ich aber hinzufügen, dass es nicht so schwer ist, die passenden Spieler zu bekommen, weil nicht jedes Ballbesitzspiel aussehen muss wie das von Barcelona 2010/11 und man durch passendes Training und Taktik in vergleichsweise kurzer Zeit sehr große Fortschritte erzielen kann. Oft reicht es schon, den strategischen Fokus zu ändern und ein paar nicht allzu komplizierte Wechsel vorzunehmen, siehe Dortmund im ersten Jahr unter Thomas Tuchel oder aktueller Bremens Turnaround seitdem Florian Kohfeldt im Amt ist. Der Fall des Mitchell W. zeigt außerdem noch, dass die Entwicklung durchaus Bestand hat und zu einer nachhaltig positiven Entwicklung der Spieler und somit des gesamten Vereins führen kann.
Genug mit den Spielern, bewegen wir uns auf die nächste Ebene, die gruppentaktische. Auch hier ist es um Hertha nicht allzu gut bestellt. Die Angriffe ähneln sich zu einem Großteil und zeugen von zu wenig Kreativität, um aus den festen Flügelangriffsabläufen auszubrechen. So kommt es, dass die Spieler immer wieder anrennen und versuchen, über einen im äußeren Kanal des Halbraums startenden Spieler durchzubrechen oder ganz einfach zu flanken. Viele Spieler sind mit ihrer Geschwindigkeit darin erstmal ganz gut aufgehoben, gleichzeitig aber verschenkt. Auf beiden Flügeln ist es dasselbe Trauerspiel. Und Angriffe durch die Mitte, nunja, geht das überhaupt?
Ja, auch hier gilt, die Ausrichtung beschränkt die Spieler. Der Kader hat deutlich mehr Potenzial, als man letztlich geboten bekommt. Statt den Spielern einen Werkzeugkasten mitzugeben, aus denen dann das richtige für die jeweilige Situation zu wählen ist, bekommen sie einen Hammer und eine Säge, mit denen sie nichts gegen fest verschraubte Defensiven ausrichten können. Wie die Hertha trotzdem so erfolgreich war? Die Antwort hierauf würde Teile der Bundesliga verunsichern.
Auf mannschaftstaktischer Ebene kommt schließlich noch hinzu, dass die Staffelungen ein ums andere Mal viel zu unverbunden sind. Die vielen 4-2-4-Momente gegen Köln waren das perfekte Beispiel dafür. Zwischenlinienräume wurden konsequent gemieden, obwohl dort naturgemäß mehr Platz zu finden ist als zwischen zwei Gegenspielern an der letzten Linie. Auf bestimmte Bewegungen der Spieler gibt es keine Antwort von den anderen. Auch wenn man mit dem Interpretieren von durchschnittlichen Positionen immer vorsichtig sein sollte, Dardais Spieler bilden über den ganzen Platz kleine Pärchen, keine Mannschaft, im Fall von Plattenhardt und Mittelstädt links stehen sie sich sogar direkt auf den Füßen. So ist die Hertha über weite Strecken von Einzelaktionen abhängig, die vom Gesamtkonstrukt bestenfalls geduldet aber auch nur kaum unterstützt werden.
Wie es anders sein kann und sollte, zeigt zum Beispiel die TSG aus Hoffenheim Woche für Woche. Verschiebt dort ein Spieler seine Position, wird diese Bewegung bis in die hinterste Ecke ausbalanciert. Das macht in Berlin höchstens Stocker manchmal, aber wie gesagt, alles individuell. So gibt es natürlich kaum mal direkte Anschlussoptionen in hektischen und etwas ungeordneten Szenen. Auch sowas sollte eigentlich bei jeder Ausrichtung ein Ziel sein, frei nach dem ab heute offiziellen falschezehn.de-Ausbildungsmotto: „Es schadet nie wenn Fußballer auch gute Fußballer werden.“. Da sag noch einer, wir würden keine konkreten Vorschläge machen!
Ein weiterer Grund für die Probleme der Hertha betrifft dann noch weniger die Taktik als die Aufstellung selbst. Das Trainerteam gehört zu denjenigen in der Liga, die lieber auf defensivere Spieler auf offensiveren Positionen setzen als umgekehrt. Lustenberger und Stark auf der Sechs sind noch nachvollziehbar, sind sie doch gewissermaßen Innenverteidiger-Sechser-Hybride. Maximilian Mittelstädt als Linksaußen wirft schon eher Fragen auf, vor allem wenn dafür Kalou, Lazaro und Duda außen vor gelassen werden.
Es scheint als würde Dardai versuchen, auf Risiken zu verzichten, gefährdet dadurch aber die Stabilität, denn die kann auch im Spiel mit dem Ball verloren gehen. Außerdem ist ein auf dem Papier defensiverer Spieler auf seiner neuen Position nicht sofort der bessere Spieler gegen den Ball. Genki Haraguchi beispielsweise ist an guten Tagen ein exzellenter Pressingspieler, Mittelstädt ist Durchschnitt.
Des weiteren scheint die Spielstärke eines Akteurs für Dardai nicht viel Wert bei der Wahl der Aufstellung zu haben, siehe Alexander Esswein, der schnell ist, aber in ruhigen Spielphasen für das Spiel seiner Mannschaft durchaus ein Handicap darstellen kann. Auch Davie Selkes Berufung als zweite Spitze anstelle von Ondrej Duda sagt einiges aus, hatte der Slowake doch viele sehr vielversprechende Szenen.
Bei diesen Spielertypen gäbe es zwar tatsächlich noch einen Grund sie aufzustellen, solange man sich vermehrt auf Konter konzentrieren will, dafür fehlt es aber an Aktivität in der Verteidigung, um die für Konter nötigen Ballgewinne zu provozieren.
Und damit auch niemand sagen kann, das hier seien nur leere Wort, bieten wir abschließend noch ein paar Ideen an, wie es anders laufen könnte:
1. Hertha fängt an zu pressen: Die Aufstellungen bleiben weitestgehend dieselben, die Spieler auf der Doppelsechs wären dazu sofort in der Lage und die Konter könnten den eindimensionaleren Akteuren zu Gute kommen. Auch hier gilt aber, dass man weiterhin Fußball spielen muss. Woran Roger Schmidt in Leverkusen gescheitert ist und was Leipzig so stark macht, ist der Plan gegen Mannschaften, die kein besonders hohes Pressing zulassen, weil sie selber den Ball lang schlagen.
2. Hertha fängt an Fußball zu spielen: Einige der oben genannten Probleme lassen sich vermutlich schon durch eine andere Aufstellung und mehr spielorientiertes Training beheben. Die Entwicklung würde Zeit brauchen, aber das Team sicher besser machen. Sollte der Hauptstadtklub dann irgendwann tatsächlich ansehnlichen Fußball bieten, gelingt es vielleicht auch wieder mehr Fans zu mobilisieren.
3. Hertha fängt wieder an Tore zu schießen: Das hier ist nicht meine Lieblingslösung, aber sollte es Pal Dardai wieder schaffen, seine Mannschaft ihren expectedGoals-Wert in dem unglaublichen Maß übertreffen zu lassen, in dem es die letzten Jahre geschah, würde die Kritik durch den geringsten Aufwand nachlassen. Wobei wir natürlich weitermachen würden, ist ja klar. Wichtig wäre dafür aber noch eine Stabilisierung der zuletzt ziemlich wackeligen Abwehr.
Jetzt noch detaillierte Lösungen auszuarbeiten, führt vorerst zu weit. Der Artikel soll vielmehr als eine Art Appell verstanden werden. Ohne klare Spielidee geschweige denn ein Ziel für eine Weiterentwicklung wird Hertha fast zwangsläufig irgendwann die nächsten Jahre im Abstiegskampf landen. Die Frage ist eigentlich nur, wie lange es noch gut geht.